Volle Pulle

Seit 22 Jahren trocken. Ex-Profi Uli Borowka erzählt als Gast der Space Party Crew von seiner Fußballer-Laufbahn und seiner Alkoholsucht.»Am 9. März war ich jetzt 22 Jahre trocken. In unserer Gesellschaft ist das nicht einfach. Ich muss mich rechtfertigen, warum ich bei Veranstaltungen keinen Alkohol trinke. Da läuft ja irgendwas falsch, seit relativ langer Zeit.

Die Vorbildfunktion, die wir eigentlich haben, haben wir seit Jahren nicht mehr.« Mit diesen deutlichen Worten zog der einstige Fußball-Bundesligaprofi Uli Borowka die Zuhörer im Bürgerhaus Münchholzhausen in seinen Bann.Der 59-Jährige war Alkoholiker, insgesamt 14 Jahre medikamentenabhängig und vier Jahre spielsüchtig. Vor sieben Jahren hat er dann auch einem anderen Laster abgeschworen und die Zigarette zur Seite gelegt. »Jetzt weiß ich nicht mehr, mit was ich noch aufhören soll«, räumte der einst unter Jupp Heynckes bei Borussia Mönchengladbach und anschließend unter Otto Rehhagel spielende gelernte Maschinenschlosser ein. War zu Profizeiten sein Spitzname »Axt« und seine Füße dabei das Mittel, den Ruf des »härtesten Abwehrspielers der Bundesliga« zu rechtfertigen, so ist es heute seine Sprache, die zur »Axt« wird. Denn Borowka ist kein Mann wohlüberlegter Worte, sondern spricht Klartext, erst recht, wenn es um das Thema Alkohol, sein Doppelleben und seine Suchterfahrungen geht. Und wenn Anekdoten von seinen beiden Trainern Jupp Heynckes und Otto Rehhagel wie auch von seinem einstigen Mannschaftskameraden Lothar Matthäus ausgeplaudert werden.»Volle Pulle« war zwar das Motto des von The Space Party Crew against AIDS organisierten Abends, doch diese beiden Worte sagen so viel mehr, gab Borowka nicht nur auf dem Platz »volle Pulle«, sondern konnte auch abseits des Platzes keiner »vollen Pulle« aus dem Weg gehen, musste diese leeren.Als Maschinenschlosser mit 15 Jahren in die Lehre gegangen, wurde bereits zu dieser Zeit am Mittag eine Flasche Bier mitgetrunken. »Gruppenzwang, sich mitziehen lassen. Nein zu sagen, das ist Stärke. Jemand, der verantwortungsvoll mit dem Alkohol umgehen kann, das ist okay. Ich konnte das nicht«, räumt er unumwunden ein und gab sich vielmehr auf dem Fußballplatz als »harter Hund«. Wurde noch in der Lehre dann später Apfelkorn getrunken »und um halb zwei konntest du die Feile schon nicht mehr gerade halten«, so schaffte er später am Tag einen Kasten Bier, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whisky. »Bis drei Uhr morgens wurde gesoffen und als erster stand ich aber um neun Uhr auf dem Platz.«Der sportliche Erfolg stimmte, wurde er doch mit Werder zweimal Meister und Pokalsieger, holte den Europapokal der Pokalsieger (1992) und schaffte es bis in die Nationalmannschaft, wo er in seiner Karriere – wie er berichtete – »dreimal gegen den kleinen dicken Maradona spielen durfte«. In 16 Bundesligajahren hatte er mit Heynckes und Rehhagel gerade mal zwei Trainer, »allein der HSV hatte im vergangenen Jahr fünf«, merkte Borowka humorvoll an und hatte die Lacher auf seiner Seite.Überhaupt war es Rehhagel, der seine schützende Hand über ihn gehalten hat, als er einmal nach durchzechter Nacht am nächsten Vormittag irgendwo in seinem Auto weit weg von Bremen an einer Autobahnraststätte aufwachte, nicht mehr wusste, wie er dort hingekommen war und Rehhagel am Telefon die Situation schilderte. Der bestellte ihn zum Gespräch und bot ihm als Erklärung gegenüber der Presse eine Magendarmgrippe als Grund fürs Fernbleiben vom Training an und den Hinweis, sein Einsatz am Wochenende sei nicht gefährdet. »Er wollte mich schützen, das war ja nicht böse gemeint. Diese Art der Hilfe nennt man in der Fachsprache auch Co-Abhängigkeit. Ich mache niemandem einen Vorwurf, auch Otto Rehhagel nicht. Herr Rehhagel sprach mich ja auf mein Problem an. Ich habe anschließend ein, zwei Tage lang weniger getrunken. Aber dann musste ich wieder saufen.«Unter Heynckes wurde noch mit Bleiweste trainiert und mit Matthäus hat er sich fünf Jahre gut verstanden, bis sich die Wege der beiden Gladbacher Jungs trennten, er nach Bremen und Matthäus zu Bayern wechselte und er beim nächsten Spiel Matthäus nicht an sich vorbei ließ und der heutige Rekordnationalspieler nach drei Minuten auf der Tartanbahn lag – »das war dann unser Kontakt«.Aber 1982 war es Matthäus, der besoffen mit seinem Mercedes in Herzogenaurach in Nachbars Garten hineingefahren ist, seinen Führerschein abgeben musste und er ihn dann zum Training fuhr. An Matthäus wie auch an Oliver Kahn lässt Borowka kein gutes Haar, kritisiert deren Werbung für Sportwetten. »Jemand, der sich vor so einen Karren spannen lässt, da hört es bei mir auf. Das sind Vorbilder und da gibt es keine zwei Meinungen, dass die sich davorspannen lassen, das finde ich ganz einfach scheiße. Ganz ehrlich, wenn er Geld braucht, dann gehe ich für Kahn und Matthäus sammeln.«Etwas, was Borowka in seinem heutigen Leben bestens beherrscht, hat er doch einen Verein zur Suchtprävention gegründet und berät Spieler mit Suchtproblemen. Als »Uli Borowka – Ex-Bundesliga-Profi, Buch-Autor, Keynote Speaker, Redner« präsentiert er sich auf seiner Homepage (uli-borowka.de) und bietet hier auch ein Alkohol-Tagebuch per PDF zum Download an. Sein einstiger Werder-Mitspieler und 1990er-Weltmeister Günter Hermann hatte ihm einst helfen wollen und ihn auf seine Sucht aufmerksam gemacht. »Die Folge, im nächsten Training hätte ich ihm fast das Schienbein gebrochen.«Überhaupt waren es dann Alkohohl-Aussetzer, die dazu führten, dass er im Suff seine Frau mit dem Kopf gegen die Wand schlug, in Bremen rausgeschmissen wurde und er sich bewusst machen musste, dass mit 33 Jahren die Karriere zu Ende ist. »Im Januar/Februar 1996 wollte ich dem allem ein Ende bereiten. Bin nach 14 Stunden Bewusstlosigkeit wieder aufgewacht. Von 1996 bis 2000 bin ich vor mir hinvegetiert, bin aber der einzige deutsche Fußballer, der mit einem polnischen Verein (Widzew Lodz) Meister (1997) wurde. Klar, die Polen trinken ja auch nichts«, scherzt Borowka, dessen Karriere dann 1998 endete.Er verfiel komplett der Sucht und der Gladbacher Sportdirektor Christian Hochstätter besorgte ihm 2000 eine viermonatige stationäre Entziehungskur. »Mir war klar, wenn du aus der Klinik kommst, gibt es nur schwarz oder weiß.« Durch die Coronapandemie wurden laut Borowka viele Menschen verloren, »weil wir die nicht in Kliniken bekamen. Die Sucht-Welle, die wir wegen Corona vor uns herschieben, wird in zwei Jahren einen Tsunami entfachen. Wir haben mindestens sechs bis acht Millionen Alkoholkranke in Deutschland. Alkohol ist bei uns in Deutschland Kulturgut. Ich habe nichts dagegen, wenn man damit verantwortungsvoll umgeht, aber im Jugendfußball hat Alkohol nichts verloren«, kritisierte er abschließend auch die Verbände, die hier nichts unternehmen.Begonnen hatte die unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Turn-Weltmeisters Eberhard Gienger stehende Veranstaltung mit einer Spendenübergabe vom SpacePartyCrew-Vorsitzenden Torsten Weicker über insgesamt 5000 Euro, von denen Uli Borowka wie auch die Henry-Maske-Stiftung jeweils 1500 Euro, Gießens Sportkreisvorsitzender Prof. Dr. Heinz Zielinski für die Sportstiftung Hessen und auch »Plant for the Planet« jeweils 1000 Euro entgegennehmen konnten.Henry Maske ist am 7. Mai in Münchholzhausen bei der nächsten Veranstaltung der SpacePartyCrew mit Schirmherrin Regina Halmich zu Gast. Mit einer von Julia Nestle moderierten Gesprächsrunde mit Borowka und Fußball-Weltmeisterin Nia Künzer klang die Veranstaltung aus, bei der noch ein Fallschirmsprung mit Gienger in Lützellinden wie auch je ein Gladbach- und Werder-Trikot mit Borowka-Autogramm versteigert wurden.Uli Borowka zu Gast bei der Space Party Crew© Thomas Wissner