Wandelbarer Weißflog

Talkrunde mit Sporthelden (v. l.): Moderatorin Julia Nestle, Jens Weißflog, Nicole Uphoff, Claudia Kohde-Kilsch, Vanessa Mark, Schirmherrin Natalie Geisenberger und Rekord-Olympiasiegerin Birgit Fischer. © Thomas Wissner

(nal). Einen solchen Aufgalopp an Olympiasiegern hatte es in Mittelhessen noch nicht gegeben, gleich 21 olympische Goldmedaillen hatte die »Space Party Crew against Aids« im Bürgerhaus Münchholzhausen bei einem »Stelldichein von Sporthelden« vereinen können. Einmal mehr war es Vorsitzenden Torsten »Toni« Weicker gelungen, die Sportstars für einen guten Zweck in den Wetzlarer Stadtteil zu locken.

Alles wieder für den guten Zweck, wurden doch im Verlauf des unter der Schirmherrschaft der sechsmalige Rennrodel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger stehenden Abends Spenden über 7085 Euro übergeben, womit der Verein seine Gesamtspendensumme in nunmehr 24 Jahren auf fast eine Viertelmillion Euro anwachsen ließ.

Fast 200 Besucher konnte die durch den Abend führende FFH-Moderatorin Julia Nestle begrüßen. Im Mittelpunkt stand dabei der Vortrag des dreimaligen Olympiasiegers im Skispringen, Jens Weißflog. Wie wohl sich die Sporthelden in Münchholzhausen fühlen, zeigten die achtfache Kanu-Olympiasiegerin Birgit Fischer und die viermalige Olympiasiegerin im Dressurreiten, Nicole Uphoff, die bereits zum zweiten Mal zur Veranstaltungsreihe der Space Party Crew gekommen waren. Gekommen waren zudem Zweierbob-Weltmeisterin Vanessa Mark und die Wimbledon-Siegerin im Tennis-Doppel, Claudia Khode-Kilsch. Gekommen war auch der österreichische Bobfahrer Markus Treichl, während die dreimalige Olympiasiegerin im Eisschnelllauf, Gunda Niemann-Stirnemann, kurzfristig absagen musste, aber 500 Euro für den Spendentopf übermittelte.

Zwei Sprungstile

Weißflog plauderte in seinem gut einstündigen, aber nie langweiligen Vortrag aus seinem Leben. Der heutige Hotelier und Oberwiesenthaler Ehrenbürger, liebevoll »Floh vom Fichtelberg« genannt, ist der einzige Skispringer, der Olympia-Gold mit unterschiedlichen Sprungstilen holte. Zehn Jahre lagen dabei zwischen dem ersten und zweiten sowie dritten Olympiasieg. »Die beste Voraussetzung für Bestand und Erfolg ist Veränderungsbereitschaft«, hatte er seinen Vortrag als Thema vorangestellt, um damit auch auf die Entwicklung vom klassischen Sprungstil hin zum V-Stil zu schildern.

»Brett vorm Kopf ist Mist, wir machen die Bretter auseinander, dann sieht man mehr«, schilderte er die Technikumstellung vom Parallel- zum V-Stil. V-Stil-Springer hatten damals beim Springen auf einmal die Nase vorn. Zwar schaffte er die Olympiaqualifikation 1992 noch im Parallel-Stil, aber es stand fest, dass der V-Stil der erfolgreicher ist. »1991 hatte ich die Vierschanzenztournee zum dritten Mal gewonnen und hätte ja auch aufhören können. Alles mit dem Parallel-Stil. Manchmal wird man im Sport überholt ohne eingeholt worden zu sein. Die Skisprungwelt hatte sich gewandelt und mit dem Parallel-Stil hattest du keine Chance mehr. Als 1992 der gleichaltrige Österreicher Ernst Vittori im V-Stil bei Olympia gewann, da stand auch für mich fest, du musst es ändern.«

Kindheitstraum

Ausgelöst hatte den neuen Sprungstil der Schwede Jan Boklöv, der zwar 1987 noch belächelt wurde als 42. im Gesamt-Weltcup, diesen jedoch 1988 schon als Zehnter und 1989 als Gesamtweltcupsieger beendet. »Eigentlich müsste es ja Boklöv-Stil heißen, es heißt ja auch Fosbury-Flop«, so Weißflog. Zuvor war es 1988 ein überragender Matti Nykänen, der jedoch im Nachgang an seinen Erfolgen scheiterte und für zahlreiche Negativschlagzeilen nach seiner Sprungkarriere sorgte. »Einen Nykänen hätte es in der DDR nicht gegeben«, stellte Weißflog klar. »Uns hat man schnell wieder auf die Tatsachen des Lebens zurückgeführt, wir mussten wieder um unsere Erfolge kämpfen.« Geld sei dabei nie eine Motivation gewesen. »Ich fand es einfach geil, zur Vierschanzentournee zu gehen. Das war schon in meiner Kindheit ein Traum. Es gab Sachpreise. In Lahti/Finnland gab es eine Mikrowelle für den fünften Platz. Ich war Fünfter auf der großen und der kleinen Schanze und konnte mit zwei Mikrowellen heimgehen. Am Ende der Saison hättest du ein Geschäft für Heimelektronik aufmachen können«, verriet Weißflog.

Um dann noch eine weitere sinnbildhafte Anekdote zu erzählen. Als er seine Preise für eine Videokamera eingetauscht hatte, die dann beim Zoll und Sportministerium festhing, denn Videokameras waren in der DDR verboten, »man hätte ja die Grenzanlagen filmen können. Wir mussten zweimal um unseren Preis kämpfen, beim Sport selbst und danach noch mal«, schilderte er, über welche Umwege dann die Kamera zu seinem Verein geschickt wurde mit dem Hinweis: »Da kannst du sie dir ja dann ausleihen, wenn du was filmen willst.«

Mit vier Jahren habe bei ihm das Verrücktsein angefangen, habe er eine Frage im Eingangsbereich beantwortet, wie man nur so verrückt sein kann, von so großen Schanzen zu springen. Angefangen mit dem Skispringen habe er, weil er zu faul zum Laufen und es was Messbares war. Bei Spartakiade gewonnen, mit 15 Jahren Nationalmannschaft, da sei alles ganz schnell gegangen »und plötzlich springt man mit denen zusammen, die man vorher nur aus dem Fernsehen kannte. Mit 19 Olympiasieger und mit 20 Weltmeister, da denkt man ja, das muss so sein. Aber es kamen auch 1986 bis 1988 Jahre, die ohne Erfolg blieben. Eine richtige Sinuskurve ist auch die Skispringerei, mal geht es hoch mal runter«, berichtete er.

»Ich bin jetzt zwei Jahre länger Hotelier als ich Skispringen gemacht habe. 26 Jahre Skispringen. Ohne Veränderungen geht es nicht. Dies versuche ich auch immer wieder meinen Mitarbeitern zu sagen. Das Leben bringt permanent Veränderungen mit sich. Augen und Ohren offen halten ist immer meine Devise gewesen«, so Weißflog, der bereits 2002 mit dem Nordic Walking begonnen hat. Aber auch E-Bike habe sich als Innovation für das Tourismusgeschäft erwiesen. Dazu zähle auch die Benennung der Zimmer in seinem Hotel nach Skisprungorten. »Wir haben aus allen Zimmern Themenzimmer gemacht. Bleiben Sie immer Innovations- und Veränderungsbereit«, schloss er seinen Vortrag.

Spenden verteilt

Birgit Fischer hatte für den mit viel Beifall bedachten Weißflog ein Geschenk in Form alter vom Flohmarkt geretteter Skier mitgebracht, die im Hotel Weißflogs einen Platz finden sollen. Mit Spenden bedacht wurden der SV Fortuna Pöhla 1884 Skispringen-Pöhla mit 1500 Euro, die Kinderhilfe Organtransplantation mit 1000 Euro, die Vereine Eichhörnchenshutz und Deutsche Kinderkrebshilfe mit jeweils 750 Euro, Plant for the planet 585 Euro sowie jeweils 500 Euro Inka Wetterau, Therapeutisches Reiten Niederrhein, KinderEngel RheinMain, Sportstiftung Hessen und den Heimat- und Kulturverein Münchholzhausen für 1250 Jahre Münchholzhausen.